Ärztliche Werte
Ärztliches Handeln erfordert neben der fachlichen Kompetenz verschiedene "ärztliche" Werte. Menschliche Zuwendung und Verschwiegenheit werden als ärztliche Werte häufig genannt. In der medizinischen Ethik stehen die folgenden ärztlichen Werte im Fokus:
- Fürsorge: Für den Patienten sorgen, sowohl medizinisch, als auch menschlich
- Selbstbestimmung: Information des Patienten über Therapie, Behandlung, mögliche Erfolge oder Nebenwirkungen, ausdrückliche Einwilligung zur Behandlung
- Gerechtigkeit: Alle Patienten werden unabhängig von Herkunft, Beruflicher Stellung o.ä. gleich gut behandelt.
- Nicht-Schaden – wobei ich den Begriff bevorzuge „Lebensqualität steigern“: Ein Abwägen von Risiken und Nebenwirkungen gegenüber Heilungschancen bzw. Aktivitäten zur Verbesserung der Lebenssituation des Patienten. Eine Steigerung der Lebensqualität anstreben für den Patienten, und damit auch für die Angehörigen.
Die Charta zur ärztlichen Berufsethik hebt das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Integrität und Kompetenz des Arztes hervor. Ferner Altruismus, Aufrichtigkeit, Klugheit und Effektivität der begrenzten Mittel, Verantwortung, Kollegialität, Respekt und Verpflichtung. Die Berufsordnung für die Ärzte Bayerns ergänzt das Vertrauen zwischen Arzt und Patient, Qualität der ärztlichen Tätigkeit, Freiheit des Arztberufes und würdiges Verhalten im Beruf.
Patienten-Fürsorge
Gemäß dem Eid des Hippokrates hat sich der Arzt dem Wohle des Kranken und der Verschwiegenheit verschrieben. Nach der Neufassung 2017 des Genfer Gelöbnisses verspricht der Arzt feierlich „sein Leben in den Dienst der Menschlichkeit zu stellen.“ Es werden Werte genannt wie Gesundheit und Wohlergehen, Autonomie, Respekt, Würde und Ehre, Achtung und Dankbarkeit. Er werde seinen Beruf nach bestem Wissen und Gewissen ausüben und sein medizinisches Wissen teilen.
Nicht immer ist es möglich, alle ärztlichen Werte gleichermaßen umzusetzen. Das Fürsorge-Prinzip kann in Konflikt stehen zur „Steigerung der Lebensqualität“ oder dem Nicht-Schaden-Prinzip, wenn Nebenwirkungen wahrscheinlich sind. Auch das Autonomie-Prinzip könnte in Konflikt stehen zum Fürsorge-Prinzip, wenn der Patient nicht oder nicht ausreichend in der Lage ist, seine Situation und mögliche Konsequenzen zu erkennen.
Ärztliche Selbstfürsorge
Neu und wichtig für Ärztinnen und Ärzte gemäß der Deklaration von Genf: „Ich werde auf meine eigene Gesundheit, mein Wohlergehen und meine Fähigkeiten achten, um eine Behandlung auf höchstem Niveau leisten zu können.“
Der Wert der eigenen Selbstfürsorge steht oftmals in Konflikt zu den Ansprüchen, die das Gesundheitssystem, die Patienten, und man selbst an sich richtet. Ärztinnen und Ärzte sorgen oftmals besser für andere, als für sich selbst. In Folge können körperliche oder psychische Beschwerden auftreten. Diese wiederum führen dazu, dass es schwerer wird, die eigene Tätigkeit auszuüben.
Ärztliche Werte: Empathie
Empathie im Umgang mit Patienten, Mitarbeitern und Kollegen ist wichtig für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit. Der Begriff beschreibt die Fähigkeit und Bereitschaft, sich in andere Menschen und deren Einstellungen einzufühlen. Empathische Personen erkennen und verstehen, aus welchem Grund ihr Gegenüber verunsichert oder abwehrend reagiert.
Patienten, die keine aktive Therapiebereitschaft zeigen oder Mitarbeiter, die widerwillig erscheinen, können als Belastung empfunden werden. Ein Hineinversetzen in ihre Lage hilft, eigene Frustrationen zu überwinden und neue Lösungswege zu finden.
Streitigkeiten und Diskussionen kommen zustande, weil die beteiligten Parteien aneinander vorbeireden, und unterschiedliche Bedürfnisse haben. Durch Empathie kann ein Konsens gefunden werden. Wer sich ernstgenommen und verstanden fühlt, kann einfacher vertrauen. Dieses erleichtert den Umgang mit schwierigen Themen oder bei Patienten das Einlassen auf Therapien, wenn der individuelle Motivationsgrund verstanden wird.
Ärztliche Werte: Gesundheit
Früher galt das Prinzip; „Das Gefühl der Gesundheit erwirbt man durch Krankheit.“ (Georg Christoph Lichtenberg). In der aktuellen Satzung der WHO heißt es: „Die Gesundheit ist ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen." Mit zunehmendem Alter erscheint es umso wertvoller, gesund zu sein, je intensiver sich Krankheiten spürbar zeigen und den persönlichen Handlungsradius und die Lebensqualität einschränken.
Gesundheit wird heute oft gleichgesetzt mit Fitness oder Wohlbefinden. Gesundheit ist der wichtigste Wert für Menschen in Deutschland. Dies ergibt der „Werte-Index“, eine Social Media Studie zu gesellschaftlichen Entwicklungen aus 2022. Die Wertschätzung von Gesundsein ist nicht abhängig von messbaren Krankheitsanzeichen, z. B. Laborwerten, sondern steht zunächst in Abhängigkeit zum persönlichen Erfahrungshorizont mit dem Thema Krankheit. So weiß ein gesundes, jüngeres Kind mit Gesundheitswünschen auf seiner Geburtstagskarte wenig anzufangen.
Zu Konflikten kann es kommen, wenn ein Teil der Gesundheit wieder hergestellt werden kann, unter Einbußen eines anderen Teiles der Gesundheit. Für Menschen, die aufgrund von schmerzhaften Erkrankungen an Handlungen ihrer Wahl gehindert sind, bekommt das Gesundsein eine andere Dimension: Schmerzlinderung, Schmerzfreiheit sowie das Wiedererlangen der Handlungsfähigkeit stehen im Fokus.
Ärztliche Werte: Liebe
Liebe bezeichnet ein Gefühl der Anziehung und eine gefühlvolle Zuneigung zu einer anderen Person. Außerhalb von partnerschaftlichen Beziehungen bedeutet es, dass ich mein Gegenüber respektiere. Liebe ist gut für die Gesundheit. Liebe reduziert Stress und Angst, und steigert das Wohlbefinden.
Ein wichtiger Teil der Liebe ist die Selbstliebe. Harmonie und Teamfähigkeit hängen vom Selbstwertgefühl ab, von dem Wissen, dass Sie unabhängig von Ihrer Leistung wertvoll sind. Menschen bestmöglich zu lehren, sie zu heilen oder zu unterrichten, hängt immer von der Eigenliebe ab. Wenn Sie lieben, haben Sie ein angenehmes Gefühl.
Respekt macht am besten sichtbar, was liebendes Handeln bedeutet. Jeder Mensch ist einzigartig und lebt in „seiner“ Welt. Jeder Konflikt in einem Team beruht auf dem persönlichen Gefühl, in der eigenen Betrachtungsweise verletzt worden zu sein. Treten Sie in das Liebesgefühl ein, verstehen Sie, warum Menschen reden und handeln, wie sie es tun.
Ärztliche Werte: Sinnhaftigkeit
Der Sinn des Lebens ist essentieller Bestandteil dessen, warum wir etwas tun. Bewusst oder unbewusst suchen wir nach dem „Warum“ oder einem höheren Ziel. Sinnhaftigkeit beinhaltet die Werte der Antike: „das Wahre, das Gute, das Schöne“ und bereichert unser Leben. Für viele Menschen liegt der Sinn darin, das Schöne und Gute in der Welt zu vermehren, für Ärztinnen und Ärzte, die Lebensqualität des Patienten zu verbessern, oder Menschen zu heilen. Als Arzt und Chefarzt stiftet Ihre Tätigkeit täglich Sinn: für Sie selbst und für andere.
Oft ist es einem Chefarzt / einer Chefärztin nicht bewusst, dass er täglich das Leben von Patienten, Mitarbeitern, Pflegepersonal oder Kollegen verschönert, erleichtert oder Hoffnung bereitet. Das Wissen, dass das Leben und die Tätigkeit sinnvoll sind, gibt Energie und Kraft. Wenn andere den Sinn nicht sehen, so erschwert dies die Zusammenarbeit.
Ärztliche Werte: Weisheit
Es gibt verschiedene Formen der Intelligenz, die in ihrer Summe einen ausgeformten Charakter für Leitende Ärztinnen und Ärzte bilden. Neben hohem Wissen und einer reaktionsschnellen Klugheit ist es vor allem die Weisheit, die dafür sorgt, dass wir gerne zu Menschen in Führungspositionen aufschauen. In den Weisen steckt schon sein Anbeginn der Zeit eine größere Erfahrung und ein genaues Wissen um die Vergangenheit, aus dem heraus sich bessere Entscheidungen für die Zukunft zum größtmöglichen Wohle anderer treffen lassen.
Dies zeichnet weise Charaktere aus, sie werden von ihren Mitmenschen um Rat ersucht. Wer weise ist, der hat Erfahrungen und Wissen gesammelt und weiß auch, dieses zu vermitteln. Dies macht ihn zum Ansprechpartner in Notlagen, zum Felsen in der Brandung und zur Quelle von Fachwissen und Menschlichkeit. Auch hier kann ein möglicher Konflikt entstehen, wenn Ihre Autorität, Ihr Wissen, Ihre Weisheit nicht anerkannt wird. Oder möglicherweise offen in Frage gestellt wird.
Weise sein bedeutet für Sie auch immer eine gewisse Seelenruhe, die Sie aus Ihren Erfahrungen gewonnen haben. Als weise Führungspersönlichkeit handeln Sie besonnen, aber entschlossen. In der Ruhe liegt die Kraft. Darüber zu stehen, bedeutet ebenfalls Weisheit.
Erste Hilfe Tipp
Werte lassen sich nicht wirklich trennen in berufliche und private Werte. Ärztliche Werte sind auch Teil Ihrer Persönlichkeit. Die Priorisierung könnte jedoch im Berufsleben einen anderen Stellenwert erhalten. Grundsätzlich werden Ihnen Werte, wie z. B. Zuverlässigkeit, Ehrlichkeit, Loyalität stets in beiden Lebensbereichen wichtig sein, vielleicht in veränderter Priorisierung. Werte dienen dazu, Sie in Ihrem Handeln zu unterstützen.
Sich der eigenen Werte bewusst zu sein, ist ein wichtiger Schritt, diese umzusetzen. Kennen Sie Ihre Werte, die Sie in Ihrer Tätigkeit als Arzt & Ärztin und Führungskraft unterstützen. Werte, die Ihre Stärken hervorbringen und die Kompetenzen in Ihrem Team fordern, fördern und wirkungsvoll erweitern. Hier mehr erfahren!
Warum tun Sie, was Sie tun? Welche Werte treiben Sie positiv an? Was lieben Sie an dem, was Sie in Ihrer ärztlichen Tätigkeit täglich machen? Verdeutlichen Sie sich Ihre Beweggründe. Gut bewährt hat sich ein Termin morgens, um frisch gestärkt in den Tag zu gehen und sich bewusst zu machen, was Sie an diesem Tag erreichen wollen. Nehmen Sie sich vielleicht einen einzigen Wert vor, den Sie intensiver pflegen möchten.
Konflikte im Umgang mit Ihren Werten können Sie wie folgt auflösen:
- Seien Sie sich Ihrer eigenen Werte bewusst. Schreiben Sie alle Werte auf, die Ihnen wichtig sind.
- Prüfen Sie, welcher Wert aktuell verletzt wird. Was genau vermissen Sie? Was ärgert Sie?
- Prüfen Sie, welcher Wert erfüllt wird.
- Finden Sie eine Gewichtung, warum der erfüllte Wert momentan bzw. in diesem Moment bedeutender ist.
- Sie können je Einzelfall, je Werte-Konflikt stets neu entscheiden.
Danke: Foto von national cancer institute auf unsplash.com
Beitrag von Diana Runge, Gründerin docopulco & Online Coach für Chefärzt/innen