Eine der häufigsten Frustrationen für (leitende) Personen im Arbeitsumfeld ist Zeitdruck. Zeitdruck versetzt unseren Körper in Alarmbereitschaft. Wir eilen zum nächsten Termin, hasten von einem Patienten zum nächsten, stehen unter Strom, das Herz rast, wir trommeln nervös mit den Fingern auf den Tisch, blicken unruhig auf die Uhr oder fühlen uns gehetzt und gestresst.
Die 500.000er-Frage
Warum fällt es uns leicht, darüber nachzudenken, was man mit 500.000 € oder 500.000 CHF machen würde? Ein Haus oder eine Wohnung kaufen? In Ihre Arztpraxis oder Ihre eigene Entwicklung investieren? Ein neues Auto oder ein Motorrad kaufen? Urlaub machen? Geld für die Ausbildung der Kinder verwenden? Einen Teil in lukrative Anlagen investieren? Eine Feier organisieren? Shoppen gehen?
Ist Ihnen aufgefallen, dass in der oben genannten Frage die Einheit fehlt? Es handelt sich nicht um Euros oder Schweizer Franken. Die Einheit wäre "Zeit", genauer gesagt "Minuten". Ist Ihnen bewusst, dass Sie im Jahr über 525.600 Minuten verfügen? Ein wunderbares Potenzial an Möglichkeiten! Doch statt aus dem Vollen zu schöpfen, spüren viele Mitarbeiter in Krankenhaus, Spital, Klinik und Arztpraxis Zeitdruck, Hektik und Stress.
Jeder von uns verfügt über die gleiche Anzahl an Stunden pro Tag. 60 Minuten pro Stunde, 24 Stunden, 365 Tage im Jahr. Geld scheint greifbarer zu sein. Doch Zeit haben wir immer. Wir müssen nichts dafür tun. Sie wird uns täglich geschenkt. Wir alleine haben es in der Hand, was wir daraus machen, wie wir sie nutzen.
Es gibt verschiedene Strategien, die Personen im Arbeitsumfeld anwenden, um Zeitdruck zu vermeiden. Zeitdruck führt zu Fehlern , und wirkt sich negativ aus auf den Organismus. Nicht alle Strategien sind tatsächlich hilfreich, um Zeitdruck zu vermeiden.
Mythos Multi-Tasking - Tatsache: bis zu 50% mehr Zeit nötig
Studien aus der Neurowissenschaft und Psychologie belegen, dass das menschliche Gehirn nur eine einzige Sache gleichzeitig erfassen und verarbeiten kann. „Multitasking“ bedeutet in der Praxis für das Gehirn, in ganz schnellen Sequenzen permanent hin und her zu schalten. Zeitdruck "soll" vermieden werden mit dieser Strategie. Tatsache ist: Die Produktivität wird nicht erhöht. Zeit wird nicht "gespart", und der berühmte Zeitdruck sitzt einem wieder im Nacken.
Praktische Übungen zeigen, dass zwei Arbeiten, die hintereinander bearbeitet werden, schneller erledigt werden als die „gleichzeitige“ Bearbeitung, die in Wahrheit nur schnell ausgeführte Nacheinander-Tätigkeiten sind. Die Gedächtnisleistung nimmt ab, manche sprechen sogar davon, dass der IQ in diesem Moment nachweislich geringer ist um bis zu 10%. Bis zu 50% mehr Fehler und Unfälle passieren, und es kostet bis zu 50% mehr Zeit. Fazit: Der Fokus auf eine einzige Sache kann helfen, Zeitdruck zu verringern.
Multitasking wird auch beschrieben wie nach einer durchwachten Nacht, oder dem Genuß von Drogen. Wer Auto fährt, und gleichzeitig telefoniert, ist geistig abgelenkt - die Reaktionsgeschwindigkeit entspricht einem Autofahrer mit 0,8 Promille im Blut. Durch den ständigen Wechsel zwischen („irrelevanten“) Tätigkeiten haben wir bisweilen das Gefühl, hunderte von Aufgaben erledigt zu haben - während wir uns in Kleinigkeiten verloren haben. Die wichtigen, größeren Aufgaben geraten in Vergessenheit.
Zeitdruck: "Alles nur schlechte Planung?"
Als Chefärztin und Chefarzt haben Sie vielfältige Rollen auszufüllen. Neben der medizinischen Expertise spielen vor allem Management-Fähigkeiten eine Rolle: Vom (agilen) Projektmanagement, über Kostenkontrolle und Budgetplanungen, strategische (Forschungs-) Projekte impementieren, Zusammenarbeit mit Niedergelassenen Kollegen, interdisziplinäre Zusammenarbeit, Führung und Personalentwicklung - und natürlich Ihr eigenes Selbstmangagement.
Provokant gefragt: Ist Zeitdruck nur ein Ausdruck schlechter Planung? Die Frage lässt sich mit einem klaren "JEIN" beantworten. Tatsache ist, dass die Anzahl der Management-Aufgaben und der Administration deutlich gestiegen ist. Zeit wird zu einem raren Gut. Zeitdruck ist in unserer Gesellschaft gleichzeitig ein Ausdruck der Wichtigkeit und Bedeutung von Personen.
Fazit: Sie haben die (theoretische) Wahl, zusätzliche Mitarbeiter für die administrativen Aufgaben einzustellen - was oftmals mit den Budget- und Personalzielen in Konkurrenz steht. Oder sich "anders" zu organisieren. Den Tagesablauf durch strukturierte Planung und Pufferzeiten zu optimieren.
Zeitdruck: "Keine oder mangelnde Vorbereitung"
Kennen Sie diese Besprechungen, egal ob persönlich oder online? Es wird viel geredet, wenig gesagt, und in den letzten 5 Minuten kommt jemand zum eigentlichen Punkt. Entweder muss das Thema vertagt werden (und man hätte sich 80% der Zeit zuvor schenken können), oder es wird nun freudig diskutiert, und um eine Entscheidung gerungen.
Die Folgetermine müssen verschoben werden oder kürzer statt finden. Die Verspätung wird zu einer riesigen Tsunamiwelle, die sich stetig weiter aufbaut. Sie müssen Ihrem Ehepartner / Ihrer Ehefrau und den Kindern beizubringen, dass sie heute einmal wieder ohne sie mit dem Abendessen beginnen sollen. Zeitdruck ist zu einer Bedrohung geworden, die nun auch ihr Familienleben erreicht hat.
Fazit: Eine gute Vorbereitung einer Besprechung, ein Moderator und eine klare Zielsetzung helfen, entspannt und doch zielgerichtet vorzugehen. Es gibt Menschen, die sich nur einen einzigen Agenda-Punkt notieren für eine Besprechung.
Zeitdruck: "Die Erreichbarkeitsfalle - 24/7 Präsenz"
Was im Internet eine feine Sache ist, ist für alle Menschen eine Herausforderung: Die erwartete 24/7-Präsenz. Für Sie als Arzt / Ärztin war oder ist es üblich, einen 24-Stunden-Dienst zu leisten. Doch was ist mit den Zeiten, in denen Sie an sich einen "regulären" Arbeitstag haben? Zeitdruck äußert sich nicht nur in den Terminen, die wir im vor Ort leisten (Krankenhaus / Spital / Praxis). Hinzu kommt der gefühlte Zeitdruck, Themen noch erledigen zu wollen. Bis hin zu Freizeit-Stress.
Schlechte Arbeitsorganisation; die (vermeintliche) Verpflichtung, noch Mails zu beantworten, die Patientenbriefe fertig zu stellen; die Angst, etwas zu verpassen, oder für Mitarbeiter und Kollegen auch nach Dienstschluß und am Wochenende zur Verfügung zu stehen aus Pflichtbewußtsein - die Liste ist lang für die Gründe der permanenten Erreichbarkeit. Teams, die stark zeitversetzt arbeiten, sind bisweilen froh, sich wenigstens "zwischendurch" noch austauschen zu können. Auf Dauer besteht die Gefahr der Erschöpfung, Müdigkeit - bis hin zum Burnout.
Fazit: Gestehen Sie sich "Offline-Zeiten" und "Auflade-Zeiten" zu. Wenn Sie Ihr Handy im Dauereinsatz haben, ohne nachzuladen, ist der Akku irgendwann leer.
Meine Erste-Hilfe-Tipps
Selbst gut organisierte Chefärztinnen und Chefärzte stehen häufig vor der Herausforderung, Wichtiges von Dringendem zu unterscheiden. Ihre persönliche Analyse und Zeitplanung können Sie hier vereinbaren.
Zeitdruck reduzieren durch Planung
- Planen Sie Ihren Tag bereits am Vorabend
- Bereiten Sie Ihre nächste Woche bereits am Freitag Nachmittag vor (dann haben Sie am Wochenende bereits einen freien Kopf), vereinbaren Sie ggf. Termine für die nächste Woche, und notieren Sie die wichtigsten Aufgaben
- Planen Sie tägliche Pufferzeiten ein von 30-60 Minuten für unvorhergesehene Ereignisse (diese werden garantiert eintreffen)
- beginnen Sie die ersten 5 Minuten morgens mit der Sichtung oder Anpassung der Tagesplanung
- beenden Sie den Tag mit einer abendlichen 5-Minuten-"Erfolgs-Revue": Was ist gut gelungen? Was möchten Sie beim nächsten Mal anders machen?
Zeitdruck reduzieren: "Notfallplan für Besprechungen"
gute Vorbereitung als Moderator:
- Warum findet das Meeting statt (Zielsetzung)?
- Ist der richtige Teilnehmerkreis eingeladen? (Sind Entscheider anwesend?)
- evtl. Versand der Unterlagen vorab, mit Hinweis der Vorbereitung durch die Teilnehmer (Unterlage sollte zum Zeitpunkt der Besprechung gelesen worden sein)
gute Vorbereitung als Teilnehmer:
- Was möchten Sie beitragen?
- Welche Informationen benötigen Sie?
- Und wenn Sie keine der beiden Fragen beantworten können: Warum nehmen Sie überhaupt teil?
Zeitdruck reduzieren: Erreichbarkeit priorisieren
- Handy ausschalten: Es gibt Abteilungen, die sich darauf verständigt haben, das Handy z.B. ab 18 Uhr, am Wochenende, oder am Mi- / Do-Nachmittag ausgeschaltet zu lassen, und auch keine Emails zu beantworten (Bereitschaftsdienst natürlich ausgenommen). Wenn es von oberster Stelle mitgetragen und kommuniziert wird, entlastet dies alle Beteiligten
- Feste Pausenzeiten: Ein Zeitpuffer z.B. zwischen 12.00 und 13.30 Uhr, in denen sowohl ein ungestörtes Mittagessen, als auch benachrichtigungsfreie Zeiten anstehen, erleichtern das Arbeiten. Ein rotierendes System von 2 Personen, die in dieser Zeit erreichbar sind, sorgt für Sicherheit bei Notfällen.
- Kern-Erreichbarkeitszeiten definieren: Früher war es üblich, z.B. zwischen 9 und 15 Uhr eine permanente Erreichbarkeit sicherzustellen. Auch in Zeiten von Handy, Computer & Co.
- "FAQ": Die häufigsten Fragen der Mitarbeiter oder der Patienten können über eine FAQ-Liste online oder auf dem Anrufbeantworter angegeben werden, ggf. mit Verweis auf ein entsprechendes Formular oder weiteres Vorgehen.
- Familien-/Freizeitleben wichtig nehmen: Setzen Sie sich, ebenso wie für die dienstlichen Aktivitäten einen (gedanklichen) Termin, um Zeit mit Ihrer Familie oder für Ihr Hobby zu reservieren. Sorgen Sie ggf. für eine "Notfall-Liste" oder eine Vertretung, so dass Sie - wenn Sie wollen - sogar einen ungestörten Urlaub verbringen können. Ohne schlechtes Gewissen.
Zeitdruck reduzieren: Ablenkungen ausschalten
- schalten Sie die akustische und optische Benachrichtigungsoption der Email-Programme aus („Sie haben eine neue Benachrichtigung“)
- checken Sie Ihre Emails nur 2x am Tag, z.B. um 11 Uhr und um 16 Uhr
- planen Sie täglich „Störzeiten“ ein in Ihren Tagesablauf für dringliche Entscheidungen, Rückfragen von Mitarbeitern, u.a. Beispielsweise: „Open Door“ für Rückfragen täglich zwischen 11.30 und 12.30 Uhr, und verweisen Sie die Mitarbeiter / Kollegen auf diesen Termin.
Danke: Foto malvestida von auf Unsplash.com
Beitrag von Diana Runge, Gründerin docopulco & Online Coach für Chefärzt/innen