Als Chefärztin & Chefarzt, als leitende Führungskraft sind Sie Bindeglied zwischen Ärzteschaft und Patient, zwischen Geschäftsführung und Mitarbeitern, zwischen Medizin und Management. Sie stehen im Spannungsfeld zwischen ergebnisorientierter Führung und Freude-am-Tun, zwischen dem „Müssen“ und dem „Wollen“. Die Stellung als Chefarzt / Chefärztin ist sowohl eine große Bürde, als auch ein Privileg. In wohl keiner anderen ärztlichen Beschäftigung genießen Sie ein derart hohes Ansehen unter Kollegen und Patienten. Ihre Mitarbeiter messen Sie hauptsächlich an einer „guten Führung“.
Fachwissen alleine reicht nicht
Exzellentes medizinisches Fachwissen befähigt Sie, Patienten zu behandeln, und möglicherweise zu heilen. Die fachliche Expertise kann unterschiedlich ausgeprägt sein: Während beispielsweise in der Forschung das Hauptaugenmerk auf der Wissensvertiefung liegt, punkten internistische Akut-Chefärzte eher mit ihrem breiten Erfahrungsschatz. Sie können der beste ärztliche Experte sein – es sagt nichts über Ihre Fähigkeiten aus zum Führen als Chefarzt oder Chefärztin.
„Pareto“-Führung als Idealvorstellung
Führung folgt idealerweise dem 80-20-Pareto-Prinzip. 80% der Zeit wird für Führung verwendet, 20% für operative Tätigkeiten. Bei Ihnen ist es in guten Tagen umgekehrt? 80% operative Tätigkeit, und "ein wenig" Führung nebenbei? Oder kommen Sie gar nicht dazu, Zeiten zu planen, in denen Sie sich den Aufgaben der Führung widmen?
Zunehmender zeitlicher und wirtschaftlicher Druck, Ärztemangel und Pflegekräftemangel, und vermehrte Verwaltungstätigkeiten erhöhen im Berufsbild des Chefarztes zusätzlich die Komplexität, und erschweren es, mehr Zeit für Führungsaufgaben einzuplanen. Oftmals werden Chefärztinnen & Chefärzte alleine gelassen mit dem Thema Führung: Führungsaufgaben muss man sich on the Job aneignen (sozusagen Arbeiten am offenen Herzen). Viele leitende Ärztinnen und Ärzte erhalten hierbei wenig Unterstützung von Seiten der Klinik und des Spitals. Dies führt oft dazu, dass die Gesamt-Ergebnisse der Abteilung schlechter werden, ebenso die Stimmung - und sich bisweilen Erschöpfung und Resignation einschleichen.
Gefahren und Herausforderungen in Führungspositionen
Führung ist eine eigene Kompetenz. Der beste Experte ist nicht automatisch die beste Führungskraft. Vermeiden Sie Führungsfehler!
Der beste Experte merkt möglicherweise in seiner Führungsfunktion, dass er gar keinen Spaß daran hat,
- anderen Menschen Anweisungen oder Aufträge zu geben,
- die Mitarbeiter bzw. die Ergebnisse zu kontrollieren,
- das Team zu motivieren,
- regelmäßig zu informieren,
- Maßnahmen zur Zielerreichung immer wieder einzufordern,
- neue Mitarbeiter zu finden und einzulernen,
- für die Fehler des Teams gerade zu stehen vor der Geschäftsleitung,
- kranke / gekündigte oder fehlende Ärztinnen und Ärzte zu „ersetzen“,
- Wege zu finden, wie man auch mit kleinem Budget und großem Mitarbeitermangel die Patientenversorgung sicher stellt,
- sich die Unzufriedenheit der Mitarbeiter anzuhören wegen der ungerechten Dienstplanung, wegen Überstunden, Streß und Überlastung,
- sich mit Konflikten im Team oder mit anderen Abteilungen auseinander zu setzen.
Führungskompetenz für Leitende Ärztinnen und Ärzte
Für eine erfolgreiche Führung haben sich verschiedene Kompetenzen bewährt. Die Reihenfolge oder Priorisierung durch die einzelne Führungskraft kann variieren.
- Kommunikation: effektiv und effizient mit Mitarbeitern, Kollegen und der Geschäftsleitung kommunizieren, Ziele kommunizieren, Mitarbeitern regelmäßig Feedback geben
- Entwicklung: Weiterentwicklung der Klinik, als auch sich selbst, und die Mitarbeiter
- Mitarbeiterförderung: Weiterbildung als stetige Entwicklung der fachlichen und methodischen Kompetenzen
- Risikobereitschaft und Entscheidungsfreude: Kalkulierbare Risiken eingehen, Chancen nutzen
- Fehlerkultur: Fehler offen, ehrlich und angstfrei ansprechen können und lösungsorient angehen
- Delegation: als Mittel zur Zielerreichung, Zeitmanagement, und bestmöglicher Aufgabenverteilung, idealerweise gemäß den Stärken der Personen
- Ergebnisorientierung: Ziele setzen, verfolgen, messen und bei Bedarf anpassen
- Entschlossenheit und Disziplin sind Eigenschaften, die Führung erfordern und erleichtern
- möglicherweise auch das Einnehmen einer Vorbildfunkition
Persönlichkeitskompetenz: Zeigen Sie sich von Ihrer besten Seite
Die persönlichen Kompetenzen, oder sogenannten Soft Skills, entscheiden oftmals über Erfolg und Misserfolg, um die eigene Chefarzt-Position zufrieden ausfüllen zu können. Zuerst einmal geht es um die Führung der eigenen Person. Anschliessend darum, ein Team von Mitarbeitern zu führen. Hierfür gibt es wichtige Erfolgsfaktoren.
- Flexibilität und Anpassungsfähigkeit bei aktuellen Herausforderungen, ggf. Änderung des Vorgehens oder der Ziele
- Kreativität und Lösungsfindung, um handlungsfähig zu bleiben in ungewohnten, neuen Situationen
- Belastbarkeit zum Umgang mit Streß und (Zeit-)Druck, Schlafmangel und belastenden Situationen
- Resilienz für innere Stärke und Optimismus, Akzeptanz oder Loslassen von Gedanken und/oder Aktivitäten
- Selbstmanagement: Sich selbst und andere organisieren und führen
- Verantwortungsbewusstsein, Sorgfalt und Zuverlässigkeit
- Kooperationsfähigkeit: interdisziplinäre Zusammenarbeit fördern, kollegialer Austausch und Vernetzung
- Empathie im Umgang mit Mitarbeitern, „Zuweisern“, Kollegen und Vorgesetzten sowie Patientenorientierung
- Eigenmotivation, Begeisterung und Leidenschaft, um andere ebenfalls "anzustecken"
Weitere erforderliche Methoden- und Management-Kompetenzen
Die Aufgaben eines Chefarztes / einer Chefärztin ähneln stark denen eines Managers der freien Wirtschaft. Es ist der Spagat, oder besser gesagt, die Kombination aus Medizin und Management. Sie müssen hierbei nicht der beste Experte in all diesen Themen sein. Ein gewisses Grundverständnis wird vorausgesetzt, und ist erlernbar. Sie können sich gerne der Unterstützung von Experten bedienen in Ihrer Klinik. Zur Führung gehören Management-Kenntnisse:
- unternehmerisches Denken und Handeln
- Kenntnisse der BWL und des Rechnungswesen
- Methodenkompetenzen: agiles oder klassisches Projektmanagement, Prozessmanagement mit KVP (kontinuierlicher Verbesserungs-Prozess)
- Selbstmanagement: Zeitführung, Organisationstalent, Ziele setzen
Die ideale Teamgröße
Ein direktes Team von ca. 8 Personen ist ideal, da Sie verschieden Menschentypen und fachliche Expertisen steuern und „aktivieren“ können. Zur Führung größerer Teams ist es oft von Vorteil, bereits erste Erfahrungen als Führungskraft zu haben, und 1-2 Teamkoordinatoren einzusetzen.
Voraussetzungen zum Führen eines großen Teams
- Zielklarheit innerhalb der Klinik, Spital oder Praxis
- klare Organisationsstruktur
- eine gewisse Beständigkeit, d.h. wenig Re-Organisation und geringe Fluktuation
- vorhandene Führungserfahrung
- persönliche Kompetenzen: Entscheidungsbereitschaft, Disziplin, Verantwortungs- und Lösungsorientierung
- hohes Vertrauen in das Team durch den Chefarzt / die Chefärztin
- Vertrauen untereinander, innerhalb des Ärzte-Teams
- Vertrauen und Loyalität zur Führungskraft
- selbstverantwortliches und zuverlässiges Arbeiten im ärztlichen Team
- möglicherweise Einführen von 2-3 Teamkoodinatoren oder zusätzlichen Leitungsfunktionen, um die Kommunikationswege klein und den Handlungsspielraum groß zu halten
- Transparenz und Einbeziehen der Mitarbeiter in Entscheidungen für bessere Ergebnisse
- regelmäßiger Kommunikationsfluß, d.h. turnusmäßige Teamrunden mit dem gesamten Team (ein bis drei Mal pro Quartal), zusätzlich Informationen per Mail oder Aushang zu aktuellen Themen
Erste Hilfe-Tipps: Förderliches Führungs-Mindset
Auch in unsicheren Zeiten souverän bleiben und die Führung der Mitarbeiter gelassen und zielführend voran bringen - so gelingt es: Selbstbewußte Chefärztinnen und Chefärzte wissen, dass sie nicht Opfer äußerer Umstände sind. Gehen Sie davon aus, zum damaligen Zeitpunkt die bestmögliche Entscheidung mit den vorhandenen Informationen getroffen zu haben. Mögliche Reflexion: „Was könnte ich beim nächten Mal anders machen?“
Akzeptanz
Das, was nicht zu ändern ist, annehmen, ohne Groll oder Vorwürfe (nützt niemandem). „So ist es.“
Dankbarkeit
Herausforderungen offen begegnen mit der Einstellung „Was kann ich heute lernen?“
Leidenschaft für den Beruf
Wenn Sie aufhören wollen, überlegen Sie „Warum habe ich angefangen?“ (als Mediziner? als Führungskraft? In dieser Klinik / in diesem Spital / in dieser Praxis?)
Würdigung
auch die kleinen Schritte und Erfolge zu schätzen wissen. Eine konstante Steigerung oder Veränderung von 1% steigt im Laufe der Zeit exponentiell, und kann nach 1 Jahr rd. 37% besser sein als am Jahresanfang.
Vernetzung
Nicht nur für die Zuweisung von Patienten, oder medizinisch-fachlichen Austausch. Fehler und Fettnäpfchen vermeiden, und best-Practise erfragen. Wertvoll ist es, sich über Führung in einem Peer-Gespräch auszutauschen, voneinander zu lernen. Die meisten Chefärztinnen und Chefärzte haben die gleichen Herausforderungen zum Thema Führung. Fragestellung könnte sein: „Wie sind Sie damit umgegangen? / Wie ist es Ihnen gelungen, eine Lösung zu finden?“
Vorbildfunktion und innere Haltung
Ihre Einstellung zum Beruf und zu den (möglicherweise unangenehmen) anstehenden Aufgaben wirkt sich auch auf das Team aus. Begeisterung und Optimismus können ansteckend sein, und Ihr Team motivieren; oder lösungsorientiert fragen: "Wie finden wir einen Weg?"
Danke: Foto von jannis-glas und national-cancer-institut auf unsplash
Beitrag von Diana Runge, Gründerin docopulco & Online Coach für Chefärzt/innen