Es gibt Menschen, die einen Konflikt mühelos herbeiführen können – ja, bei denen der Konflikt geradezu vorprogrammiert ist. Manchmal denkt man sich vielleicht „oh je, dieser Patient schon wieder.“ Jedes Mal, wenn er kommt, möchte er eine Sonderbehandlung, ist unzufrieden, oder beschwert sich. Ob gewollt, oder ungewollt, Konflikte zwischen Patient und Arzt passieren. Hier geht es darum mit "schwierigen Patienten" einen Konflikt zu lösen.
Konflikte mit Patienten oder Angehörigen gibt es immer wieder. Es gibt „schwierige Patienten“, die durch ihre Art Konflikte herbeiführen. Es gibt Angehörige, die aus Angst und Sorge ihre Emotionen nicht unter Kontrolle haben. Es gibt Patienten, die einen verbal angreifen, und es kommt zum Konflikt.
Es mag Konflikte geben, wenn ein Patient unangenehm riecht, oder ein Tattoo mit einem Symbol trägt, das Rückschlüsse auf seine politische Gesinnung schließen lässt, mit der der behandelnde Arzt sich – vorsichtig formuliert – nicht identifizieren kann.
Schwieriger wird es, wenn dem Arzt oder medizinischen oder pflegerischen Personal verbale Attacken entgegen geschleudert werden, ob im Krankenhaus, oder in der Arztpraxis. Wie in allen Not-Situationen ist es auch hier hilfreich, sich vorab mit dem Thema auseinander zusetzen, um adäquat reagieren zu können. Passende Reaktionen gibt es viele.
Verbale Attacken entstehen aus Wut, wenn der andere sich ignoriert oder nicht wertgeschätzt fühlt, oder eine Aussage oder ein Verhalten als beleidigend empfindet. Wut kann zu einem irrationalen Verhalten führen, das sich in lautstarken Worten, oder auch in handgreiflichen Taten äußert. Immer wieder wird in der Presse von tätlichen Angriffen auf medizinisches Personal berichtet, z.B. in der Notaufnahme.
Konflikte mit Patienten aufgrund starker Emotionen
- Angst vor einer unangenehmen Diagnose, vor einer Veränderung im Leben, vor einem Aufenthalt im Krankenhaus, vor bestimmten Medikamenten oder Therapien.
- Hilflosigkeit, nicht wissen, was zu tun ist, oder wie es weitergeht.
- Schmerzen, die für manche schier unerträglich sind, und die sie gerne schnellstmöglich beseitigt wissen möchten
- Allein-Sein, sich verlassen fühlen, nicht im Schutz der Familie sein können, oder keinen / wenig Besuch erhalten können in den aktuellen Zeiten.
- Unsicherheit, der Patient fühlt sich möglicherweise nicht gesehen oder gehört, und kann seine Bedürfnisse oder Emotionen nicht ausdrücken.
- Trauer, der Verlust der Gesundheit oder von Gliedmaßen, Trauer darüber, dass das eigene Leben sich verändert und vielleicht nichts mehr so ist, wie es war.
Viele dieser Emotionen werden in Wut, und damit verbunden in Schreien oder lautstarke Worte umgewandelt, und es kommt zu einem verbalen Angriff oder Konflikt. Der Patient möchte, dass man sich umgehend um ihn kümmert, oder er möchte eine bestimmte Behandlung oder genau diese Behandlung nicht, oder er möchte nur von einem ganz bestimmten Arzt behandelt werden. Werden diese Bedürfnisse des Patienten nicht erfüllt, weil es andere Notfälle gibt, man auf einen Spezialisten oder die Diagnose warten muss, kommt es zum Konflikt. Oder vielleicht hat der vorbeikommende Arzt überhaupt keine Kenntnis von der Patientenakte, und wird leider, weil er gerade „verfügbar“ ist, ungnädig angesprochen.
Konflikte mit Angehörigen
Konflikte können entstehen, wenn Angehörige als Eltern oder Bevollmächtigte handeln müssen. Ein Kind, ein demenzkrankes Familienmitglied, oder ein unter Schock stehender Patient können nicht für sich selbst entscheiden. Angehörige haben oftmals ebenfalls Angst, dass sie sich nicht genug eingesetzt haben für ihren geliebten Angehörigen, oder sie möchten seine Interessen bestmöglich vertreten. Unter Umständen kann dies gegen jeden medizinischen Rat sein.
Wie auch bei den Patienten kann sich ein Gefühl der Wut und Ohnmacht einstellen bei den Angehörigen. Indem sie ihrem Ärger Luft machen, hoffen sie auf eine Lösung.
Konflikte können hierbei auch beim Arzt entstehen, als Spagat zwischen den Interessen des Patienten, der noch nicht oder nicht mehr entscheiden kann; und den Interessen der Angehörigen.
Meine Erste Hilfe Tipps: Konflikte lösen durch Gesprächsführung
Argumentation
Menschen akzeptieren Situationen leichter, wenn sie eine Begründung erhalten. Wenn Sie dem Patienten klarmachen können, warum es länger dauert, oder eine Diagnose / die passende Therapie noch nicht gestellt werden kann, so wird dies leichter akzeptiert. Wenn es "einen guten Grund gibt", so lässt sich vieles leichter ertragen, z.B. "Es gab einen Notfall."
Es gibt hierzu Experimente, z.B. bei einer Schlange am Kopierer im Büro: alle warten, bis sie an der Reihe sind, nur eine Dame geht direkt nach vorne und betätigt den Kopierer: Das Vordrängeln wird als unverschämt aufgefasst. Als sie in einer anderen Gruppe lächelnd nach vorne ging und meinte, sie hätte es eilig, wurde dies weitestgehend akzeptiert.
=> Hieraus lässt sich lernen: Lächeln – Begründen – Entschlossen sein.
Empathie
Ein empathisches Hineinversetzen in den anderen hilft, Konflikte zu lösen, oder sogar vorzubeugen, indem Sie die Worte des anderen aufgreifen, und Verständnis zeigen: „Ich verstehe, dass Sie sich Sorgen machen / Angst haben. Was genau ist schwierig für Sie in der aktuellen Situation / was möchten Sie wissen über …?“
Beschwerde-Management
Hinhören und Ausreden lassen ist ein großer Teil der Konfliktlösung. Zeigen Sie Interesse, stellen Sie ggf. eine Rückfrage, um das Problem vollständig zu erfassen, z.B. geht es um die dringende Behandlung, oder darum, dem Patienten die Angst vor der Behandlung zu nehmen? Bieten Sie, wo es möglich ist, eine Lösung an, wenn möglich. Andernfalls erklären Sie, aus welchem Grund eine Lösung erst zu einem späteren Zeitpunkt möglich und sinnvoll ist.
Verhärtete Fronten: Sollte keine Lösung des Konflikts vorhanden sein: Sprechen Sie dies direkt an, z.B. „Es ist momentan nicht möglich, eine Aussage zu treffen. Mein Vorschlag ist, wir warten erst die Diagnose ab, dann gebe ich Ihnen umgehend eine Rückmeldung. Dies wird voraussichtlich nächste Woche Mittwoch möglich sein. Wollen Sie dann nochmals bei uns anrufen?“
Gegenseitigen Umgang miteinander hervorheben
„Wir legen Wert auf einen rücksichtsvollen Umgang miteinander. Wir behandeln alle unsere Patienten respektvoll. Das gleiche erwarten wir umgekehrt. Daher bitte ich Sie darum: Sagen Sie mir bitte in einem ruhigen, leisen Ton, worum es geht.“ Gemäß dem Kant'schen kategorischem Imperativ: Was du nicht willst, was man dir tu...
Dank
Manchmal reicht ein einfaches „Danke für die Information“ (ohne Ironie), um den Anderen aus seinem Konzept zu bringen. Ein „Was schlagen Sie vor?“ verlagert die Lösungsfindung auf den anderen. Sollten Sie die Antwort erhalten „Sie sind doch der Arzt“, wenn es z.B. um eine Therapie geht, so können Sie erwidern: „Ich möchte gerne heute mit Ihnen die Therapie besprechen. Sind Sie einverstanden?“ Holen Sie sich die „Erlaubnis“ und das Einverständnis des Patienten. Durch sein eigenes „Ja“ wird er Ihnen anders zuhören.
Emotionalen Aspekt ansprechen
„Sie haben noch immer nicht den Befund erhalten, und dies frustriert Sie?“ (hier besser „frustriert“ verwenden als „dies ärgert Sie“, das verwendete Wort könnte wiederum „Ärger“ auslösen)
Sachaspekt ansprechen
„Sie warten schon seit über einer Stunde…?“ Je nach Reaktion des Patienten können Sie Ihr Bedauern aussprechen und eine verbindliche Aussage für die Zukunft geben.
Verbindlichen Ausblick geben
„Ich habe um 17 Uhr Zeit für Sie. Wollen Sie warten, oder möchten Sie, dass wir Sie anrufen?“ (Hier ist wichtig: Nicht: Ich habe „erst“ um 17 Uhr Zeit für Sie, sondern die Verwendung der neutralen Aussage.)
Fehler eingestehen
Fehler passieren. Am schnellsten beseitigt man sie, indem man sie eingesteht, und eine neue Lösung findet. „Wir haben Sie tatsächlich heute nicht in unserem Kalender stehen. Wir können Ihnen (heute kurzfristig) einen Termin anbieten für…“
Irrtum aufklären
Es kann vorkommen, dass der Patient sich geirrt hat im Termin, und zuvor Beschuldigungen kamen, wie "unorganisiert man hier doch sei". Bleiben Sie höflich und freundlich. Bleiben Sie gelassen. Erklären Sie den Sachverhalt: "Wir haben als Termin ... notiert. Könnten Sie das nochmals prüfen?" Meist sieht der andere seinen Irrtum ein, und es ist ihm peinlich. Schauen Sie (oder ihr Team) nach vorne, und vergeben Sie einen neuen Termin.
Zur Ruhe auffordern
Manchmal ist die Stimmung sehr aufgeheizt, und der andere möchte nicht zuhören. Hier ist es sinnvoll, konsequent aufzufordern zur Ruhe, und/oder das Gespräch zu vertagen. „Ich bitte Sie um ein ruhiges Gespräch. Ansonsten vertagen wir das Gespräch.“
Gespräch abbrechen
„In diesem Ton möchte ich mich nicht unterhalten. Ich werde das Gespräch jetzt beenden.“ Verlassen Sie am besten den Raum, oder bitten Sie den Patienten, zu gehen. – Hier kann es vorkommen, dass der Patient den nächsten verfügbaren Mitarbeiter anspricht oder anschreit, weil er nun stehen gelassen wurde, und sein Anliegen noch nicht gelöst ist. In diesem Fall empfiehlt sich, in anzusprechen: „Bitte beruhigen Sie sich erst einmal. Möchten Sie ein Glas Wasser? Ich habe in 5 Minuten Zeit für Sie.“
Parteien trennen
beispielsweise den Patienten aus dem Wartezimmer in ein separates Zimmer setzen, damit die anderen Patienten diesen Konflikt nicht mitbekommen. Oder die Angehörigen und den Patienten unterschiedlich betreuen, z.B. den Patienten mitnehmen zur Untersuchung, und den Angehörigen ein ruhiges Gespräch anbieten, in einem separaten Raum. Ggf. die Angehörigen in einen ruhigen Raum bringen, und sich erst beruhigen lassen.
Sie haben die Wahl
Sie können den Konflikt nicht immer vermeiden. Doch Sie können entscheiden, wie Sie darauf reagieren: Tief durchatmen und souverän bleiben, empathisch denken und handeln, entschlossen auf ein gegenseitiges Miteinander plädieren, oder auch die Situation verlassen.
Und – unabhängig davon, wer „schuld“ ist – freundlich nachfragen: „Erzählen Sie mir in Ruhe, was passiert ist.“ Sich Zeit nehmen für den anderen, ihn ernst nehmen, und verstehen wollen. Dies nimmt häufig den Wind aus den Segeln bei einem Konflikt.
Dank: Foto von engin-akyurt und Icons8 Team auf unsplash.com
Beitrag von Diana Runge, Gründerin docopulco & Online Coach für Chefärzt/innen